Sie sind grell und bunt. Sie sind laut und unverschämt. Sie haben keine Ahnung von dem, was sie da tun.
Und sie sind ÜBERALL.
Auch wenn es danach klingen mag. Hausverwaltungen sind gerade nicht gemeint (auch wenn man sich über die so wunderbar aufregen kann).
Es geht um ein anderes Phänomen der jüngeren Geschichte. Offenbar ähnlicher Menschenschlag.
Es geht also um Fahrräder mit Batterie. Und um diejenigen, die sich da drauf setzen. Um „Sport“ zu treiben. Oder wenigstens, um es zu behaupten.
Keine Frage. Das geht auch alles ganz anders. Der Beitrag gibt lediglich die Klischees wieder, die sich über die letzten Monate und Jahre in meinem Kopf gebildet haben. Gelegentlich werden sie bestätigt.
Sie machen also Sport. Sagen sie. Sie rechtfertigen - wohl auch vor sich selbst - so ihre Besuche im Biergarten (4 km Hinfahrt). Oder im Café (5 km). Zu Kaffee (Kännchen) und Kuchen. Bevor sie ihr Sportgerät gekauft haben, bekamen sie schon feuchte Hände und Atemnot, wenn sie ein Fahrrad nur angesehen haben. Haben es daher ihr Leben lang erfolgreich vermieden, diese Dinger anzufassen. Oder gar, sie zu benutzen.
Beim Kauf des Akkurades allerdings. Da haben sie richtig zugeschlagen. Nicht irgendwas durfte es sein. In einer Fachsendung (Galileo, Explosiv oder ähnlich kompetent) haben sie gesehen, dass der ambitionierte eBiker sich nicht mit Billigware zufrieden geben sollte. Und ambitioniert sind sie ja wohl! Ab zweitausendeuro geht’s da erst los. Das war dann - neben der Farbe - auch das einzige Kriterium, welches sie ihrer Auswahl zu Grunde gelegt haben. Mindestens ne zwei sollte ganz vorne auf dem Preisschild stehen. Der Rest... unwichtig. Gangschaltung, Rahmen, Bremsen. Sind doch sowieso dabei. Fachkundig beraten („brauchen Sie unbedingt!“) haben sie sich weiter ausgestattet. Mit allerlei überlebenswichtigem Zeug (da hatte der geschickte Verkäufer allerdings in einem genuschelten Halbsatz versteckt, dass das eher für eine Alpenquerung zutrifft). Funktionswäsche, -unterwäsche, -socken. Zum Schweißtabtransport. Wind- und wetterfest. Und wegen der Farbgebung auch aus dem Weltall erkennbar. Und unter einer Schneelawine ortbar. Zur Erklärung des Verkaufsgenies haben sie (Galileo, Explosiv etc.) wissend genickt und Schlüsselworte wiederholt („aerodynamisch“, „ausgewogene Geometrie“). Dann noch schnell einen Jahresvorrat an Energieriegeln (Power-Bar) und Hochleistungssportgetränke („It's got Electrolytes!“) und ab geht das ins gesunde Leben. Sie sehen sich schon bald durchtrainiert und bereit für den nächsten IronMan. Ohne allzuviel dafür tun zu müssen. Nur ab und an in den Biergarten…
Fahrradfahren können sie allerdings nicht.
- (Einschub)
Was nun folgt, ist eine rein subjektive (also noch mehr), vorurteilsbehaftete und vollkommen klischeeüberladene, mit irgendeiner objektiven Wirklichkeit sicherlich nicht in Einklang zu bringende Idee einer Erklärung für eine von mir zuletzt beobachtete und am eigenen Leib erfahrene Situation. Niemand sonst hat jemals etwas Vergleichbares gesehen oder auch nur von einer ähnlichen Begebenheit gehört:
Eine Begegnung mit so einer Elektrosportlerin brachte mich bei meiner Weiterfahrt (Rad ohne Batterie) ins Grübeln darüber, was es da für mögliche Hintergründe geben könnte.
Dass auch dort, also beim Radfahren (vom Rad gefahren werden) einige Regeln beachtet werden sollten, wissen sie nicht. Es interessiert sie auch nicht. Sie wollen jetzt Sport machen. Wer im Weg ist, wird zur Seite geschrien. Bremsen, ausweichen. Machen sie nicht, beherrschen sie nicht. Sie fühlen sich im Recht. Wie es auch Vati (Kosename für ihren Mann, seit sie sich den Mops angeschafft haben) tut, wenn er verkehrserzieherisch die linke Autobahnspur blockiert. Sein! (nur er darf ihn fahren) VW Golf Variant, 2-Liter-Turbodiesel (F*ck you Greta!-Aufkleber obligatorisch), silbergrau, bald abgezahlt, schafft die 180km/h! doch immerhin mit Leichtigkeit. Er fährt also links. Immer. Und wenn so ein Verkehrsrowdy ihn dann doch mal überholen will, wird es dem - auch um Mutti (ihr Kosename, seit dem Mops, s. o.) zu imponieren - mal so richtig gezeigt. Der wird hart ausgebremst. Und angezeigt. Und überhaupt. Nötigung (Explosiv, s. o.), mindestens. Eigentlich Mord. Vati erklärt Mutti mit hochrotem Kopf dabei - gerade rapide auf Tempo 70 verzögernd - dass er im Recht ist („Das ist doch…! Zu meiner Zeit…! Mit mir nicht!“). Und auch, warum: „Das wollen wir mal sehen! Das kann der nicht machen. Nicht mit mir!“.
In einem kurzen Moment der Unachtsamkeit (die Autobahn ist gerade dreispurig geworden) wird er dann doch von dem Raser („Verbrecher!“) überholt. Vati beschließt, ihn zu verfolgen und zu stellen. Über all die Aufregung hat er allerdings vergessen, runterzuschalten („Handschalter, sportlicher, passt besser zu Ihnen, als ambitioniertem Fahrer“, hatte der Verkäufer damals zutreffend erkannt.). Sechster Gang, eher ungeeignet für ein Beschleunigungsrennen. Der Raser ist weg. Im Rückspiegel ist zu sehen, wie ein Lkw zum Überholen ansetzt. Erstmal wieder nach links, eine Niederlage reicht für heute. Dann zum nächsten Rastplatz. Der Hund hat auf den Rücksitz gekotzt.
Mutti bewundert ihn für seine Fahrkünste und für seine wissensgeladene Erfahrung. Sie selbst hat zwar eine Fahrerlaubnis. Aber keine Praxis (darf nicht, s. o.). Die Fahrschule ist 30 Jahre her. Von damals weiß sie nur noch, dass am Berg anfahren wahnsinnig schwierig ist. Vati bewältigt das jedesmal mit Bravour. Der Golf braucht zwar ziemlich oft eine neue Kupplung. Früher war das eben stabiler. Liegt am Material.
(Einschub Ende) -
Ihr Wissen über Verkehrsregeln hat sie also von Vati, der sie wiederum. Naja. der weiß eben Bescheid. Der hat sich zwar auch ein eBike gekauft, muss aber heute erstmal die toten Fliegen vom Golf entfernen, bevor die sich in den Lack brennen. Auf den Radgepäckträger passt wegen der zulässigen Traglast von 35 kg auch nur eines der Räder. Jedesmal ein Kraftakt, es dort zu montieren. Deswegen nehmen sie die Räder auch nicht mit, wenn sie in den Urlaub fahren. Die nachgerüstete Anhängerkupplung liegt im Keller, bei seinem eBike, neben dem Hometrainer (Platzmangel im Wohnzimmer, wegen der neuen Sofalandschaft).
Wo war ich…
Elektroräder. Genau.
Auf dem Weg zum Biergarten, Café usw. fahren sie in Gruppen. Sie haben sich verabredet mit Gleichgesinnten und ebenso ambitionierten Sportlern aus dem Bekanntenkreis. Alle genauso bunt angezogen. Alle genauso ahnungslos. Sie fahren nebeneinander. Dass jemand überholen will. Nicht vorstellbar. Fahren sie doch selbst schon halsbrecherische 25 km/h (alles drüber würde eigenen Kraftaufwand erfordern… und ausgeruht im Café ankommen hat erstmal Priorität). Wenn ihnen jemand entgegenkommt, machen sie keinen Platz. Dann müssten sie ihre Unterhaltung mit dem Sportler nebenan unterbrechen. Und bremsen. Und lenken. So nicht! Einfacher erscheint es da, den ungehobelten Entgegenkommer einfach zur Seite zu brüllen (was mir genau so passiert ist). Was fährt der auch so schnell. Und in die falsche Richtung. Überholwillige haben gar keine Chance. Die werden ignoriert. 25 km/h sind schnell genug. Diese Leute mit ihren altmodischen Fahrrädern müssen sich der modernen Technik gefälligst unterordnen. Bis… ja bis sich die Akkusportler in Richtung des direkt am Radweg liegenden Cafés ausrollen lassen, bei angemessener Geschwindigkeit vom Sattel springen und in Fred Feuerstein-Manier das Gefährt nach zweidrei Hüpfern mit den Füßen zum Stehen bringen. So vermeiden sie, Vorder- und Hinterradbremse zu verwechseln. Oder Bremse mit Gangschaltung. Verwirrend, diese ganzen Hebel.
Jetzt erstmal einen Energieriegel und den Elektrolythaushalt wieder auffüllen (ein Weizen tut’s da auch, haben sie im Wissenschaftsfernsehen - „taff“ - gesehen). Und ein Stückchen Torte.
Ja, ich weiß. Rennradfahrer, ausstaffiert wie einst Jan Ulrich, sind mindestens genauso schlimm. Aber… auch ich fahre so ein Teil. Also find ich die eigentlich gar nicht so übel…